Sonntag, 14. Februar 2016

REICHS VERSÖHNUNG DER UNVERSÖHNLICHEN


Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Positionen von Reich insbesondere moralisch polarisierten, das macht sie zudem anfällig für jede Art von religiöser Exegese. Reichs Moralismus steht in der Tradition der eines Jean J. Rousseau, ist Kind aufklärerischer und humanistischer Tradition.

In seinem Spätwerk überschritt Reich die Grenzen der westlichen Kultur, versuchte zu versöhnen, was nicht zu versöhnen ist: Naturwissenschaft und Metaphysik. Es misslang. Es misslang, obwohl er mehr als mancher andere bemüht war, die Metaphysik, das Numinose der Lebensenergie, in die Sprache der Wissenschaft zu übersetzen.

Reich scheiterte letztlich an dem Versuch, Fragen esoterischen Wissens und des Wissens aus den Randbereichen der Naturerkenntnis mit den herrschenden Naturwissenschaften zu versöhnen.

Auch in seinen gesellschaftswissenschaftlichen Beiträgen findet sich dieser Moralismus wieder: In seiner »Rede an den kleinen Mann« und »Menschen im Staat« z. B. durchschaut Reich scharfsinnig die historischen Konsequenzen des einfachen Freund-Feind-Schemas in Politik und Gesellschaft. Leidenschaftlich klagt er den »kleinen Mann« an, die Verantwortung stets von sich selbst weg auf seine Führer, auf seine Organisationen, auf den Staat geschoben zu haben.

Reich übersieht dabei geflissentlich, wo er selbst in seinen Theorien dieser Versuchung unterliegt, den Einzelnen freizusprechen von der Verantwortung für sein Leben. Reichs soziologische Fragestellung, wie sich das »Gesellschaftliche« über die Formung der Sexualität im Individuum verankert und auf die Gesellschaft zurückwirkt, ist durchaus plausibel und hat empirisch bis heute vielfache Bestätigung erhalten. Der religiöse Fundamentalismus bietet reichlich Anschauungsmaterial für seine Thesen von der Wechselbeziehung zwischen sexueller und sozialer Repression, die 1933 in seinem Buch »Massenpsychologie des Faschismus« zum ersten Mal überzeugend dargelegt wurden.

Nur, Reichs Monokausalismus, sein sexueller Determinismus greift ebenso zu kurz wie Freuds psychofatalistische Variante vom Unbehagen der Kultur, wenn es um die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft geht. Mag es ihm selbst und seiner Generation auch anders erschienen sein, der Mensch wird in seinem Sein, in seinem Tun und Denken von ein paar Faktoren mehr beeinflusst als nur durch die Unterdrückung seiner sexuellen Triebe.

(Fortsetzung folgt)

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