Montag, 1. Februar 2016

WILHELM REICH: DER MESSIANISCHE WISSENSCHAFTLER




Wie bereits angedeutet, existieren Auffälligkeiten in der Reich-Rezeption. Auf der einen Seite finden sich »Reich-Gläubige«, d. h. jene »Reichianer«, die ein quasi-religiöses Verhältnis zum Werk Wilhelm Reichs entwickelt haben; auf der anderen Seite jene Zeitgenossen, die mit Vor-Urteilen an Reich herangehen, seine Ideen vehement oder ironisch lächelnd ablehnen.

Die religiöse Reich-Rezeption möchte ich einmal als »Messias-Besetzung« bezeichnen: Messias ist der Gesalbte, der Erlöser und Vermittler des Heiles; griech. Christos. Eines der letzten Bücher Reichs trägt den Titel »Der Christusmord«. Dem Leser dieses Buches wird nur unschwer entgehen, wie stark sich Reich mit der Figur des Christus identifiziert. Die Grenzen seiner Formulierungen, wo er dort von Christus spricht und hier von sich selbst, verschwimmen: „Christus träumte nie davon, Jerusalem zu erobern. Er hatte so etwas nie vor. (...) Zweitausend Jahre später wird schließlich die kosmische Lebensenergie entdeckt und der Menschheit nutzbar gemacht. Dieses Ereignis wirft Jahrtausende menschlichen Denkens um.“ (W. Reich, Christusmord, S.151) 
 
Reich nimmt die Messias-Rolle bereitwillig an, es mangelt ihm nie an Selbstbewusstsein, der Menschheit Linderung ihres Leids durch seine Wahrheit zu schenken. Er erweckt die Illusion der Beantwortbarkeit und Handhabbarkeit zahlloser Fragen der Seele und der Schöpfung, entzaubert die Natur ihres metaphysischen Wesens, indem er die gemeinsame Wurzel aller lebendigen Prozesse als materialistische, naturwissenschaftlich erforschte und technologische handhabbare Substanz des Orgon definiert und damit eine neue physikalische Weltsicht kreiert.

Die andere Seite der Polarität ist jene, welche erst gar nicht erst hinschaut, was es denn mit Reich auf sich hat. Manches davon mag Widerwille gegen die o. a. Vermessenheit sein. Anderes sind flüchtige äußerliche Eindrücke, die sich v. a. bei naturwissenschaftlich geschulten Personen zeigen. Dafür sehe ich zwei Ursachen:
  •  Inhaltlich begab sich Reich als Grundlagenforscher auf verschiedenartige Terrains, z. B. das der Medizin, Biologie, Physik, Chemie, Meteorologie samt Teilmengen. Auf diesen Gebieten präsentierte er so weitreichende und revolutionäre Thesen, dass, würden sie zutreffen, das Gebäude der herrschenden Naturwissenschaften in ihren Grundfesten erschüttert würde.
  •  Formal dokumentierte Reich seine Experimente bisweilen nachlässig, es unterliefen ihm Unschärfen in manchen theoretischen Darlegungen, was, verbunden mit seinem grandiosen Sendungsbewusstsein, seine Glaubwürdigkeit in sog. Fachkreisen nicht immer förderte.
(Fortsetzung folgt)

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