Samstag, 6. Februar 2016

WILHELM REICH - ALLES NUR BLUFF?

Also alles nur Bluff? Hirngespinste eines Größenwahnsinnigen? Damit würden wir es uns zu einfach machen. Speziell für Reich gilt, dass er auf vielen Hochzeiten tanzte. Damit war er eben das genaue Gegenteil eines fachspezifischen Forschers, die es damals schon zuhauf gab.

Als Grundlagenforscher sah sich Reich in der Lage, interdisziplinäre und systemische Fragestellungen zu formulieren, die in der herrschenden Tradition einer spezialisierten Wissenschaft nicht gestellt werden. Indem er die Lebensenergie „Orgon“ als die Wirkkraft des Naturgeschehens konstatiert, richtet sich sein Blickfeld auf die Ganzheit des Lebens.

In ihr glaubt er den Schlüssel zu Phänomenen gefunden zu haben, die der menschlichen Handhabung und Nutzbarmachung verschlossen sind, z.B. zur Biogenese (Frage nach Entwicklungsgesetzen des Lebens), zur Körper-Seele-Beziehung (Wie wirkt das Körperliche auf das Seelenleben und umgekehrt?), die Klima- und Wetterbildung (Was sind ihre bioenergetischen Wirkgesetze?).

Die Spuren Reichs auf vielerlei Gebieten der Wissenschaft lassen sich nicht verleugnen: Reichs „Charakteranalyse“ hat das Handwerkszeug der Psychoanalyse erweitert und ihre Entwicklung zur „Ich-Psychologie“ geprägt.

Reich brachte Körper und Hände in die Psychotherapie, durchbrach die heilige Abstinenzregel Freuds („Anfassen verboten!“), indem seine Patienten berührte und ihre Muskelrigiditäten direkt bearbeitete, um die dort festgehaltenen und unterdrückten Affekte zu befreien. Diese von ihm »Vegetotherapie« genannte körpertherapeutische Herangehensweise wurde die Urform der modernen Körperpsychotherapie, die heute in psychotherapeutischen Fachkreisen immer mehr Interesse erlangt.
Reichs Ideen zur Neurosenprophylaxe haben Einfluss genommen auf Entwicklungen, die Jahrzehnte später die Hinwendung zu Methoden einer „sanften Geburt“ (F. Leboyer, M. Odent) beeinflussten, aber auch zu Erziehungsmodellen kindlicher Selbstregulierung, wie sie von Alexander S. Neill propagiert wurden.

Reichs psychosomatisches Verständnis der Krebserkrankung – er betrachtet Krebs als bioenergetische und emotionale Resignation des Organismus und den Tumor als das Endstadium dieser Entwicklung – und sein Modell einer Psychosomatik war pionierhaft und stellt einen faszinierenden Prototyp dessen vor, was heute als „ganzheitliche Medizin“ gehandelt wird.

Das von ihm entdeckte und erforschte »Orgon« inspiriert seit neuestem eine wachsende Zahl von alternativen Wissenschaftlern für weitere Forschungen und ist auf dem besten Weg, als Terminus in den allgemeinen Sprachgebrauch einzugehen.

(Fortsetzung folgt)

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